Warum ich Gott wieder neu suchen möchte.
Ich lebe in einer Zeit der Reizüberflutung. Mein Beruf fordert von mir ganze Aufmerksamkeit und ich muss in wenigen Augenblicken wichtige Entscheidungen treffen und dabei viele unterschiedliche Menschen (=Schüler*innen) im Blick haben. Ich komme nach Hause und Frau und Kinder möchten, dass ich ganz da, also bei ihnen bin. Und dann ist da noch das Smartphone, das respektlos jede Privatsphäre stört. So kann ich jederzeit und für Jeden erreichbar sein, wenn ich möchte.
Ist das Meckern auf hohem Niveau? Wäre da nicht die Advents- und Weihnachtszeit, die katalogbunt und kitschgrell ebenfalls versucht, auf meiner emotionalen Tastatur zu spielen um mich in ihren Kommerzbann zu ziehen- ich könnte unter Christen, z.B. in der Gemeinde zur Ruhe kommen und meinen Seelenfrieden finden. Falsch gedacht! Kaum eine Zeit im Jahr bietet in der Kirche mehr Termine und Aktionen auf als die „ruhige Zeit im Jahr“ und ich frage mich tatsächlich: Welches Pferd reite ich hier eigentlich? Und: Kann es gelingen, in diesen Tagen wirklich Ruhe zu finden?
Der Hunger danach ist da.
Zudem schleicht sich unmerklich in meinen Gebetszeiten eine gefährliche Routine ein. Zu vertraut scheint mir Vieles zu sein, die Gottesbeziehung „normal“ geworden- so, als würde ich ihn als langjährigen Ehepartner schätzen und auch aushalten. Höchste Zeit, neues Feuer zu fangen und nicht nur die alte Glut zu behüten.
Der Hunger danach ist da.
Und so begegnet mir in diesen Tagen ein Wort aus dem Propheten Hosea, in welchem Gott sagt: „Ich werde sie locken und sie in die Wüste führen und ihr zu Herzen reden. Dann gebe ich ihr von dort aus ihre Weinberge und das Tal Achor als Tor der Hoffnung. Und dort wird sie singend antworten wie in den Tagen ihrer Jugend.“ (Hosea 2, 16-17) Weinberge will jeder und das Tal der Vernichtung als Tal der Hoffnung ebenfalls. Singen auch. Nur in die Wüste will keiner, denn dies ist ein zu ruhiger, zu kalter, zu lebloser, zu toter Ort. Und doch ist gerade er der Ort der bevorzugten Begegnung mit Gott.
Vor mehr als vier Jahren habe ich diese Erfahrung schon einmal gemacht, damals, als mir mein Glaube schal und mein Dienst leblos vorgekommen war. Und schon damals ist dies eine existenzielle Entscheidung gewesen, da sie vor allem mit Loslassen zu tun hat: gewohnte Erfahrungen, Gottesbilder, Aktionismus und eigene Stärke. Dies macht keiner gern. Doch nur so ließ sich Gott von mir finden: In der Stille und in der Betrachtung. Und so will ich in diesen Tagen einmal mehr in Exerzitien eintreten, die mich mitten im Alltag in die Stille führen werden, die Einsamkeit, die Betrachtung und die Wahrnehmung – um meine Sinne auf DEN zu richten, von dem der Psalmist sagt: „Siehe, du hast Lust an der Wahrheit im Innern, und im Verborgenen wirst du mir Weisheit kundtun.“ (Psalm 51, 8)
Exerzitien sind eine solche Wüstenerfahrung. Sie werden für mich viele Wochen dauern und beginnen jetzt.
Mit dem Advent.
Und damit als eine Vorbereitung auf die Ankunft des HERRN.
Ganz neu.
Photo by Jeremy Bishop on Unsplash
Spannende Sichtweise!
Ich habe gelernt, die Qualitäten von Wüstenzeiten schätzen zu lernen. Auf der einen Seite fühle ich mich da weit vom Gott entfernt und auf der anderen Seite habe ich so gute und prägende Erkenntnisse in einer Wüstenzeit. Wahrscheinlich würden mir diese Dinge außerhalb der Wüstenzeit gar nicht so stark bewusst sein.
Ich denke auch das (viel) Termine in der stillen Zeit nicht nur schlecht sind da gerade die Adventzeit eine Zeit ist, in der sich Menschen besonders nach dem Schoß der Familie oder Gemeinschaft sehnen. Allerdings denke ich auch, dass eine erhebliche Qualität darin liegt, sich in dieser Zeit bewusst Zeit mit Gott alleine zu beheben. Denn aus einer guten Beziehung zu Gott gehen gute Beziehungen zu Menschen hervor.
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„Denn aus einer guten Beziehung zu Gott gehen gute Beziehungen zu Menschen hervor.“ Amen dazu. Und daraus lässt sich ein Gradmesser unseres Glaubens ableiten: Die Beziehung zu Gott kann nur so gut sein, wie unsere Beziehung zu Menschen und die Beziehung zu Menschen kann im Kern nur so gut sein, wie unsere Beziehung zu Gott. Hier spielt die Frage nach der eigenen Identität eine Rolle: Ruhe ich in Gott, fällt es mir viel leichter inmitten der Gesellschaft zu bestehen. Und fehlt diese Ruhe, suche ich sie an anderer Stelle, was mich rastlos, ständig vergleichend, stolz, überheblich oder auch gefühlt minderwertig macht.
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Spannend wäre zu hören, welche Art Exerzitien du da machst- Ignatianische? Oder wie gehst du vor?
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Ich kenne die ignatianischen Exerzitien nicht genau, so dass ich meine Erfahrungen hier schlecht vergleichen kann, weil mir der Referenzpunkt fehlt. Ich arbeite mit dem Buch von Franz Jalics: „Kontemplative Exerzitien im Alltag“ – die (so entnehme ich z.B. der Einführung) durchaus mit den ignatianischen Exerzitien verglichen werden können. Dies überrascht nicht, da der Autor selbst Jesuitenpater war. Bei ihm besticht die unbedingte Christuszentriertheit der Exerzitien, was mir von Anfang an sehr zugesagt hat, da es das Thema für mich aus der schmuddelig-esoterischen Verurteilsecke herausgeholt und ordentlich abgestaubt hat. Insofern scheue ich den Begriff der christlichen Meditation auch überhaupt nicht mehr.
Zentrum dieser geistlichen Übungen sind die Wahrnehmung von Natur, Körper und Atem sowie die Meditation des Namens Jesus und Bibelpassagen ähnlich wie sie auch in der lectio Divina gelehrt werden. Mich fasziniert daran vor allem die Zweckfreiheit der Betrachtung des Geliebten, wie sie mir auch bei anderen Autoren begegnet ist (z.B. Teresa v. Avila, Johannes vom Kreuz u.a.) und das Erlebnis, welche Freude es macht, Gott um seiner selbst und seines Wesens willen zu suchen.
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