Theologie und Andacht

Warum ich ein (geistliches) Menü dem (geistlichen) Fast Food vorziehe. 

Ich bin kein Theologe sondern Lehrer. Und Musiker. Von Beruf her. Daneben noch eine ganze Menge mehr. Aber Denken und Vernunft mag ich irgendwie, sie sind mir nicht fremd und ich weiß, dass auch der christliche Glauben mein Denken gleichsam prägt wie fordert. Zudem war dies mein erster Zugang zum Glauben, damals als junger Erwachsener, kaum aus der Schule und noch nicht im Studium. Mir war klar, dass ich Jesus brauchte. Und doch ist mittlerweile mein Glaube weitaus mehr als die Übereinstimmung mit einem christlichen common sense und sei er noch so biblisch-konservativ-arminianisch-charismatisch (für Schubladenliebhaber). Trotzdem mag ich Theologie und Bibelstudium und liebe es, meinen Horizont auf diesem Gebiet zu erweitern. Und ich liebe Spiritualität im Sinne einer aktiven Praxis und Hinwendung zu Jesus Christus in Gebet, Bibelmeditation und geistgeleiteter Nachfolge auf einem Weg der persönlichen Heiligung. Beides gehört für mich zusammen und kann nicht von dem jeweils Anderen ersetzt werden: Lehre und Studium legen das Fundament für eine lebendige Beziehung des Christen zu seinem Herrn und Spiritualität beatmet wiederum bibelzentrierte Lehre. Bleibt das Eine aus- erschöpft sich das Andere in Eitelkeit (Spiritualität) oder Leblosigkeit (Theologie).
Und doch habe ich eine Beobachtung gemacht, die ich verblüffend fand, weil ich mich als postmoderner Mensch einer Gesellschaft mit wenig Zeit und dem Hang nach der „schnellen Lösung“ ertappt gefühlt habe: Auf dem Weg der „Erkenntnis Gottes“- die bekanntlich Gottes erklärtes Ziel und sein Wunsch für diejenigen ist, die nach im fragen (1), gibt es keine Abkürzungen im Sinne einer „schnellen Lösung“. Erkenntnis Gottes geschieht allmählich, sie ist ein fortwährender Prozess, der aus einer bewusst gestalteten Beziehung des Menschen zu Gott erwächst und Disziplin und Ausdauer braucht. Dies jedoch ist in unserer Zeit zunehmend zu einem Unwort geworden. Und so sehnen sich viele Gläubige nach der „schnellen Lösung“ – selbst hinsichtlich der Reife ihres Glaubens. Und die sowieso stark angefochtene „Stille Zeit“ („Wann soll ich die denn noch einbauen, der ich so beschäftigt, so müde, so abgelenkt….bin?“) verkommt mitunter zum Minutentraining geistlicher Workouts mit Hilfe der Instant-Lösung der Herrnhuter Losungen oder kleiner Andachtsbücher, die in mundgerechten Portionen biblische Wahrheiten gourmethaft dem gehetzten Leser präsentieren. Was ich hier überspitzt und provokant formuliere (denn ganz bestimmt handeln die Autoren in guter und ernster Absicht, und auch geistliche Väter vergangener Jahrhunderte haben Andachtsbücher geschrieben!), möchte auf die Notwendigkeit aufmerksam machen, dass geistliches Wachstum nicht im Vorbeigehen geschieht, sondern Zeit braucht. Und den Mut zu einem „geistlichen Verdauungsprozess“, denn das Wort Gottes, das dem Mund des Gläubigen „süßer ist als Honig“ (Ps. 119, 103), entfaltet allmählich seinen Geschmack und seine Wirkung in ihm. Die Bibel ist weitaus tiefer als sie lang ist und ihre Schätze offenbaren sich meist dann, wenn man danach gräbt. So kommt C.S. Lewis zu einem erstaunlichen Fazit hinsichtlich des Zusammenhangs von Theologie (Graben) und Spiritualität (Genießen): „For my own part, I tend to find the doctrinal books often more helpful in devotion than the devotional books, and I rather suspect that the same experience may await others.  I believe that many who find that ‘nothing happens’ when they sit down, or kneel down, to a book of devotion, would find that the heart sings unbidden while they are working their way through a tough bit of theology with a pipe in their teeth and a pencil in their hand.“ (2)
Man mag einwenden, dass C.S. Lewis durchaus ein Intellektueller seiner Zeit gewesen ist, der es liebte seine „kleinen grauen Zellen“ anzustrengen und es gewohnt war, zu forschen. Ich glaube jedoch nicht, dass das forschende Bibellesen sowie das Lesen der „doctrinal books“ ausschließlich etwas für High-End-IQler und Bücherwürmer ist, sondern Jedermann zugänglich ist. Dahinter verbirgt sich die Überzeugung, dass inhaltlich „dünne“ Bücher auch nur einen inhaltlich „dünnen“ Glauben hervorbringen und Bücher, die einen theologischen Geist atmen, den Leser in eine tiefere Gottesbeziehung hineinführen können, weil sie ihn herausfordern. Nicht zuerst in einem intellektuellen Sinne, sondern weil die Wahrheiten Gottes ebenso wie sein Wesen und sein Werk (Erlösung, Heil, Bestimmung, Identität, Berufung) zwar einfach anzunehmen und zu lieben, niemals jedoch leicht zu verstehen sind. Zu vieldimensional sind sie, zu wenig auslotbar und begreifbar. Zu staunenswert und zu komplex in ihren Zusammenhängen. Sich diesen anzunähern ist die Aufgabe lehrmäßiger Bücher. Und so führen sie den Leser hinein in die Fragen nach dem Wesen Gottes oder dem Geheimnis der Menschwerdung in Christus oder beleuchten in Form von Kommentaren einzelne Bücher der Bibel.

Und der Leser bleibt staunend und demütig stehen vor der allumfassenden Heiligkeit Gottes und der Perfektion seiner Absichten.
Und seine Seele wird genährt von Schönheit, die sein Herz erfreut.
Und die Liebe zu Gott und Jesus nimmt zu.
Und das Gebet wird zu einem ehrfurchtsvollen Verweilen beim Geliebten.
Und das eigene Herz beginnt wieder zu schlagen- für Gott und die verlorene Welt.

Oder um es mit C.S. Lewis zu sagen: „it sings unbidden.“
Ja, ein Lied steigt empor von den Lippen des Studiosus und Anbetung füllt die Lehrstube,

Theologie und Andacht küssen sich. Wahrscheinlich war es schon immer so gedacht- nur gehen sie so häufig getrennte Wege. Ich will mich nicht abspeisen lassen mit den immer gleichen banalen Wahrheiten des „Gott liebt dich“ und „du darfst zu ihm kommen, wie du bist“. Leider höre ich genau das viel zu oft von den Kanzeln der evangelikalen Szene als ob eine Scheu davor bestünde, die Kirchenbesucher langsam aber sicher von der „Milch“ zu entwöhnen und zu Christen heranzubilden, die erfahren sind im „Wort der Gerechtigkeit und durch den Gebrauch geübte Sinne“ (Hebräer 5, 12f). Ich sehne mich nach geistlichem Wachstum- also traue ich mir auch in meiner Lektüre nicht zu wenig zu! Im Zweifelsfall gibt es ja auch noch diejenigen, die auf der Kanzel stehen, die kann man ja dann auch noch fragen. Ein Versuch ist es allemal wert. Vielleicht kann ich sie ja überraschen.

 

 

(1) Gottes Interesse an einem „geistlichen Sehvermögen“ der Seinen wird z.B. in diesen Stellen deutlich: Sprüche 2,5; Hosea 4, 1; Kolosses 1, 9+10 

(2) C.S. Lewis, “On the Reading of Old Books,” in God in the Dock: Essays on Theology and Ethics, Ed. Walter Hooper (Grand Rapids: Eerdmans, 1970), 205.

(3) hier im Sinne von „lehrmäßig“ verwendet

 

Bildrechte: © Frank Laffin, privat

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